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Luisa Neubauer (25) ist eine engagierte Umweltaktivistin, Hanseatin, großmütterlicherseits mit der Zigarettenfamilie Reemtsma verwandt, spielt Klavier, schaut gern Tatort, kocht ebenso gern und studiert Geographie in Göttingen.
Im Duell mit SPD-Vize Kevin Kühnert (32) aus West-Berlin (Bundestagswahlkreis Tempelhof-Schöneberg) in der ZDF-Talkshow Markus Lanz am 21. September 2021 offenbarte sich: Die deutsche Fridays-for-Future Umweltaktivistin Luisa Neubauer hat das Zeug zur Kanzlerin. Vorstellbar in 12 Jahren?
Kühnert versuchte beispielsweise in der Sendung, das Aufschieben seiner Partei aus dem Kohleausstieg in das Jahr 2038 wie folgt zu entschuldigen: Seine Partei setze sich für einen schnelleren Ausstieg ein, doch in der Politik sei eben alles ein Prozess. „Willkommen in der Politik“, hatte er sich an die Klimaaktivistin gewandt.
„Kevin, willkommen in der Klimakrise!“, gab Luisa Neubauer zurück. „Es geht nicht darum, einfach ein bisschen mehr zu machen. Es geht nicht darum, etwas auf den Weg zu bringen und dann zu gucken, wie kommt man dabei raus. Bei der Klimakrise, wenn wir das irgendwie aufhalten müssen, müssen wir genug machen. Es reicht nicht, einfach mehr zu machen.“
Kühnert warf ein: „Wir brauchen Mehrheiten.“
Luisa Neubauer: Neue Art der Politik
Neubauer: „Aber, wenn sich keine Partei hinstellt und sagt, Leute, das ist übrigens die Krise, die wir haben. Das ist eine neue politische Herausforderung. Wir werden eine neue Art der Politik machen müssen. Und wenn wir nicht handeln, werden wir die Fluten von NRW noch als schöne Erinnerung von Anfang der 2020er Jahre in Erinnerung haben. Wenn wir nicht handeln, dann fliegt uns hier sonst was um die Ohren. Wenn das niemand macht, ist es doch überhaupt nicht überraschend, wenn Menschen kein Bock darauf haben.“
Kühnert wiederholte: „Dafür brauchen wir Mehrheiten.“
Wahl zwischen radikalem Klimaschutz oder unvorstellbarer Klimakrise
Neubauer: „Moment. So wie man die Debatte gerade führt. Wie man die Klimakrise herunterbürokratisiert in so kleine Schnipsel, die man machen kann oder nicht, ist es ganz logisch, dass die Menschen mehr Angst vor der Erhöhung der Pendlerpauschale als vor der Erhöhung des Meeresspiegels haben. Aber das reflektiert in keiner Weise die Krise, in der wir sind. Deshalb spreche ich davon, dass man die Wahrheit, dass man die Wirklichkeit in Diskussionen hereinholen muss. Es ist völlig abwegig, dass Menschen bereit sind für die Maßnahmen, die kommen müssen. Das geht ja nur, wenn sie wissen, an was sich das misst.“
Neubauer weiter: „Wir haben nicht mehr die Wahl zwischen mehr oder weniger Klimaschutz. Mehr oder weniger Pendlerpauschale. Mehr oder weniger Kohlekraft. Wir haben die Wahl zwischen richtig gutem, schnellen, radikalen Klimaschutz oder einer Klimakrise, wie wir sie uns nicht vorstellen wollen. Und wie das in Ansätzen aussehen könnte, sehen wir schon heute in vielen Teilen der Welt. Das heißt, ein wirklichkeitsbefreiter Wahlkampf, wie diesen Sommer war, wird natürlich nicht Menschen dafür vorbereiten können, dass wir das, was eigentlich notwendig ist. Und das müssen sich Medien, Parteien jetzt anhören. Dann würde ich sagen, good luck. Bei der nächsten Legislaturperiode muss ja trotzdem gehandelt werden. Und es ist gerade ganz unklar, wie das eigentlich angegangen werden soll.“
FDP: Mengenbesteuerung
FDP-Generalsekretär Volker Wissing (51, Jurist) aus Landau in der Pfalz antwortete darauf in der Talkshow: „Was ist zu tun? Wir haben ein klares Abkommen von Paris. Das muss eingehalten werden. Deswegen macht es doch Sinn, dass man sich jetzt nicht mit der Frage beschäftigt, was bedeutet das für jeden einzelnen, wenn man was macht, sondern sich die Frage stellt, wie können wir eigentlich sicherstellen, dass das eingehalten wird. Und da fällt mir nur die Mengenbesteuerung ein. Wir steuern die Menge, die emittiert werden darf so runter, dass just zum Stichtag des Abkommens die CO2-Emissionen abgebaut sind, wie es im Abkommen vereinbart ist. Das schlägt übrigens die FDP vor.“
FDP: Emissionshandel ist das beste Klimaschutzkonzept
Wissing weiter: „Wer also CO2 emittiert, muss ein Zertifikat erwerben. Das ist übrigens das einzige, was funktioniert. Hocheffizient. Wir haben das gesehen bei der Energiewirtschaft und bei der Industrie. Die sollten bis zum Jahr 2030 vierzig Prozent reduzieren. Sie sind umfassend verpflichtend in den Zertifikate-Handel einbezogen. Was ist passiert? Sie haben ihr Ziel 10 Jahre früher erreicht. Und ich frage mich, warum man dieses Modell jetzt nicht nimmt, wo man weiß, das funktioniert, und weitet das aus auf alle Emissionsbereiche. Das wäre schlauer. Weil man dabei gegenwärtig eine Tonne CO2 für 60 Euro einsparen kann, während die Kosten, die die Bundesregierung mit ihrer E-Autopolitik verursacht, pro Tonne 2.388 Euro betragen. Das hat gerade ein Gutachten von Herrn Professor Joachim Weimann von der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg ergeben, das heute veröffentlicht worden ist. Für 60 Euro wäre das zu haben über den Emissions-Zertifikate-Handel.“
Wissing schob nach: „Natürlich hat Herr Kühnert Recht, Wohnen muss bezahlbar bleiben. Heizen muss bezahlbar bleiben. Aber das wird es doch nicht dann, wenn ich CO2-Reduktion zum höchsten Preis betreibe, sondern wenn ich das Geld so einsetze, dass ich die preisgünstigste CO2-Reduktion einsetze.“
Jedes Klimaschutzkonzept besser als das der FDP?
Neubauer entgegnete: „Tatsächlich ist es so, dass jedes Klimaschutzkonzept anderer Parteien besser ist als Ihres. Das hat man mittlerweile auf ganz, ganz vielen Ebenen nachgewiesen. Ich habe vorhin auf die DIW-Studie verwiesen.“
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin untersuchte: Wieviel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen? Das am 9. September 2021 von Professorin Dr. Claudia Kemfert (Rang 7 der einflussreichsten deutschen Wirtschaftswissenschaftler) vorgestellte Ergebnis: Keine Partei würde mit den Maßnahmen in ihrem Wahlprogramm die Klimaziele bis 2030 erreichen – von dem 1,5-Grad-Ziel ganz zu schweigen. Die Grünen kommen dem aber am nächsten, die Linken kommen auf Platz 2, CDU und SPD liegen gleichauf, die FDP landete auf dem letzten Platz.
Wissing: „Was stört Sie an der Mengenbesteuerung? Bei der Industrie ist es doch gut gelaufen?“
Neubauer: „Na ja, die Kohlekraftwerke laufen immer noch. Was Sie übersehen in diesem Konzept, ist einerseits die kritische Zeitkomponente. Wir haben nicht die Zeit, um das so einzuführen, wie Sie sich das vorstellen.“
Wissing: „Sie meinen, wenn der Staat die Emissionen verbietet, dann wird trotzdem emittiert, oder wie?“
Neubauer: „Nee, Sie würden die ja nicht verbieten.“
Wissing: „Doch.“
Neubauer: „Ihr Konzept ist ja, sie deckeln das und geben Zertifikate aus. Das ist ein ganz großer Unterschied.“
Wissing: „Doch. Wir verbieten die Emission ohne Zertifikate. Und die Zertifikate gibt es nur noch im erlaubten Umfang.“
Tragisch
Neubauer: „Ich finde es so tragisch. Man würde sich ja wirklich wünschen, was Sie am Anfang vorgetragen haben. Ok, wir machen 1,5 Grad Erderwärmung, wir halten das ein. Aber in Ihrem Parteiprogramm, vielleicht haben Sie ja noch ein anderes, das der Öffentlichkeit vorenthalten wurde, aber in Ihrem Parteiprogramm lässt sich in keiner Weise, und das haben mittlerweile zig Institute, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bewiesen, es lässt sich nicht nachempfinden oder nachvollziehen, wie Sie plausibel das erreichen wollen. Wie Sie das Budget einhalten wollen, was uns noch zur Verfügung steht.“
Wissing: „Dass es keine wissenschaftliche Bestätigung gibt, stimmt doch nicht. Da ist Professor Weimann von der Uni Magdeburg.“
Neubauer ließ sich nicht beirren und bringt folgendes Beispiel: „Und gerade jetzt, dass Kohlekraftwerksbetreiber absurderweise Geld damit machen, Zertifikate zu verkaufen. RWE, das ist total skurril, RWE hat sich vor einigen Jahren, als die Zertifikate noch Recht günstig waren, noch gut eingedeckt damit. Die sind bis 2030 raus. Wenn man denen mit Zertifikaten kommen möchte: good luck.“
Kevin Kühnert bekam nun von Moderator Markus Lanz das Wort.
Kühnert sagte: „Ich bin mit Kopfschmerzen in die Sendung gegangen. Jetzt platzt mir gleich der Kopf, weil … uns fehlt in der Gesellschaft die Sprache für die Dimension der Krise, in der wir sind.“
Zukunfts-Kanzlerin gegen die Alt-Kanzlerin?
Depolitisieren lassen
Von der jetzigen Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU), die wie sie in Hamburg geboren wurde, hat sich Luisa Neubauer in der Vergangenheit zunächst depolitisieren lassen.
Im F.A.Z.-Podcast für Deutschland am 22. Juli 2021 sagte Luisa Neubauer, dass die Kanzlerschaft Angela Merkels sie geprägt habe. „Frau Merkel hat mich wie vielleicht einige meiner Generation depolitisiert, weil man dachte, alles wird schon gut werden“, sagte Neubauer. Es habe gedauert, bis Neubauer gemerkt habe, „dass man die Klimakrise nicht im Griff hat“.
Heute kritisiert sie Bundeskanzlerin Angela Merkel scharf und rechnet mit Merkels Klimaschutzbilanz ab
Luisa Neubauer sagte am 24. Juli 2021 der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Für mich bleibt eine bedrückende Feststellung: Angela Merkel hat – unter dem Strich – immer wieder Prioritäten gegen unsere Lebensgrundlagen, gegen ökologische Rechte und die Chancen künftiger Generationen gesetzt“.
Und weiter: „Große Weichenstellungen, Umbrüche hat sie oft gegen ihre Partei, gegen die Fraktion durchgesetzt. Beim Klimaschutz hat sie das selten getan.“
Auch der Kanzler-Vize und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (63) aus Osnabrück bekommt sein Fett weg
Am 19. August 2021 twitterte Luisa Neubauer: „Ehrliche Frage, @OlafScholz: In Ihrem Wahlprogramm steht: „Wir müssen die globale Erderwärmung auf möglichst 1,5°C begrenzen.“ Denken Sie nicht es wäre fair zu erwähnen, dass Sie gleichzeitig auf einen Kohleausstieg bestehen, der das von deutscher Seite aus unmöglich macht?“
Wähler auf harte Maßnahmen vorbereiten: Es wird Verzicht geben müssen
Luisa Neubauer betonte am 17. September 2021 gegenüber dem Tagesspiegel aus Berlin, dass keine der Parteien, die zur Bundestagswahl antreten, sich mit ihren Maßnahmen auf einem Pfad entsprechend des 1,5-Grad-Ziels befänden.
„Alle Parteien haben einigermaßen erfolgreich das Märchen von einer Welt erzählt, in der man alles im Griff hat“, sagte Neubauer den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) am 23. September 2021.
Luisa Neubauer schätzte zum Wahlkampf ein: „Dass man jetzt nicht ehrlich ist, ist schon krass.“
Das Problem der Parteien: Niemand möchte der Gesellschaft etwas zumuten
Neubauer erläuterte: „Alle reden von ‚moderaten‘ Maßnahmen. Ob Olaf Scholz, Armin Laschet oder Annalena Baerbock – niemand möchte der Gesellschaft etwas zumuten. Das ist herzallerliebst – und ein großes Missverständnis. Wären sie ehrlich, müssten sie sagen: Wenn man wenig verändert, wird sich ganz viel verändern – und zwar zum Schlechten.
Was wäre denn ehrlich?
Neubauer: „Sie werden klimapolitische Maßnahmen ergreifen müssen, es wird Verzicht geben müssen – aber jetzt holen sie sich erst einmal die Stimmen ab.“
Wie fing bei Luisa Neubauer alles an?
Luisa-Marie Neubauer wurde 1996 in Hamburg geboren, wuchs in Iserbrook in Hamburg-Altona auf. Das Abitur machte sie am Marion-Dönhoff-Gymnasium in Hamburg-Blankenese.
Im Wintersemester 2015/16 begann sie ein Studium der Geographie an der Georg-August-Universität Göttingen. Sie erhielt ein Deutschlandstipendium und ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung.
Weil sie Ursachen bekämpfen wollte und nicht die Folgen, studierte sie lieber Geographie statt Medizin (wie ursprünglich geplant)
Luisa Neubauer: „Ich wollte immer Medizin studieren. Ein Studiengang, bei dem niemand Fragen hat, bei dem Arbeitsplatz und Einkommen sicher sind, bei dem sich – wenig überraschend – auch meine Eltern mit anfreunden konnten.“
Die Mutter Frauke (Krankenpflegerin) und Vater Harry leiten ein Altenpflegeheim. Luisa hat eine ältere Schwester und zwei ältere Brüder.
Wasserleitungen in Tansania verlegt
Luisa Neubauer erzählt auf der Uni-Seite: „Ich habe keinen Tag bereut, stattdessen Geographie zu studiert zu haben. Und hier ist, warum:
Ein Jahr nach dem Abitur nahm ich an einem Jugendaustausch in Tansania teil. Zuvor hatten wir Gelder gesammelt, um vor Ort eine Krankenstation mit aufzubauen. Dadurch sollte im Dorf alles anders werden. Und genau dort, im tansanischen Hochland, stellte ich fest, dass ich nicht dafür sorgen wollte, dass Menschen gesund werden – ich wollte verhindern, dass sie krank werden. Dafür reicht eine Krankenstation nicht aus. Es braucht intakte Gesundheitssysteme, Wassersysteme, die verlässlich sauberes Trinkwasser liefern, fruchtbare Böden, Maßnahmen zur Anpassung an Klimaveränderung und berufliche Perspektiven, Zugang zu Bildung, wirtschaftliche Entwicklung und technologische Innovation. Und weil ich genau diese Aspekte, deren Dynamiken und Entwicklungen verstehen wollte, schrieb ich mich zwei Wochen später an der Uni Göttingen ein.“
Ihre Großmutter engagierte sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung der 1980er Jahre. Sie sensibilisierte Luisa für das Problem des Klimawandels.
Seit 2016 setzt sie sich zudem als Jugendbotschafterin bei der Organisation ONE gegen Armut in Afrika ein.
Seit 2017 ist sie Mitglied der Partei Bündnis 90 – Die Grünen.
Luisa Neubauer und Greta Thunberg
2018 lernte sie die Schwedin Greta Thunberg (18), die vor drei Jahren mit einem Schülerstreik in Stockholm die Fridays for Future-Bewegung initiierte, auf der Klimakonferenz in Katowice in Polen kennen. Ihre Rede bewegte Luisa sehr. Also beschloss sie, Gretas Idee des „Schulstreiks“ auch in Deutschland umzusetzen. Dabei unterstützen sie viele andere junge Aktivist:innen, wie zum Beispiel ihre Cousine Carla Reemtsma aus Münster, ebenfalls eine junge Aktivistin.
Ihr mit dem Politologen Alexander Repenning verfasstes Buch „Vom Ende der Klimakrise“ kletterte 2019 auf Platz 12 der Spiegel-Bestsellerliste.
Ihr Ausweg: Überparteilicher Konsens wie in der Corona-Krise
Mit Blick auf den Wahlkampf forderte die Organisatorin von Fridays for Future ein gemeinsames Vorgehen aller Parteien. „Deutschland wird seinen Beitrag nicht leisten, wenn sich nicht alle für Klimagerechtigkeit einsetzen. Die Herausforderung ist so gewaltig, dass dafür ein überparteilicher Konsens notwendig ist“, sagte die 25-jährige Aktivistin der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wozu die Menschen bereit sind, wenn man ihnen die Dramatik unmissverständlich aufzeigt. Es ist möglich, der Bevölkerung etwas zuzumuten, wenn die Politik ehrlich ist.“
Klimakrise wie einen Notfall behandeln
„Wir sind keine Lobbyisten für die Grünen“, in Deutschland behandele „kein Politiker, keine Politikerin, keine Partei die Klimakrise wie einen Notfall“, sagte Thunberg am 17. September 2021 dem Tagesspiegel aus Berlin, selbst nicht nach der „schrecklichen Fluttragödie im Sommer“. Es werde zwar über Klimaschutz gesprochen, aber gleichzeitig wolle man erst im Jahr 2038 aus der Kohleverbrennung aussteigen. Im Ergebnis werde Deutschland – „wie fast alle anderen Staaten auch“ seine Ziele im Blick auf das Pariser Klimaabkommen und das 1,5-Grad-Ziel verfehlen.
Luisa Neubauer twitterte am 17. September 2021: „Am 24.09. streiken wir zusammen mit @GretaThunberg in Berlin. Kommt dazu, es wird ein großer Tag. Wir freuen uns! #AlleFürsKlima“ (FM)
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