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Sind die Arztpraxen in Deutschland gefährdet? Die deutschen Praxen werden zum Spielball für internationale Fonds-Gesellschaften. Nach Recherchen von NDR und Bayerischem Rundfunk haben Internationale Finanzinvestoren bereits «hunderte, möglicherweise sogar tausende Arztsitze» aufgekauf.
Arztpraxen und Internationale Investmentfirmen
Von der Öffentlichkeit im Prinzip unbemerkt haben Finanzinvestoren – die auf hohe Gewinne spekulieren – hunderte Arztpraxen in Deutschland aufgekauft. Internationale Investmentfirmen haben die deutschen Arzt-Praxen als Renditeobjekte entdeckt. Ein Bereich, der für Investoren offenbar besonders attraktiv erscheint, ist die Augenheilkunde. Das Magazin Panorama hat Recherchen dazu durchgeführt und ermittelt, dass mehr als 500 Augenarztpraxen in Deutschland inzwischen internationalen Finanzfirmen gehören. Wie berichtet wird, hat sich die Zahl innerhalb von drei Jahren bereits verdreifacht.
Schleswig-Holstein – Sanoptis mit monopolartiger Stellung
In Schleswig-Holstein – so die Recherchen des Magazin Panorama – zeigen das ein Londoner Finanzinvestor seit 2019 über einen Fonds in Luxemburg mehrere regionale Verbünde in der Region aufgekauft und zu einer Kette mit dem Namen „Sanoptis“ zusammengeführt hat. Sanoptis beschäftigt bereits in Kiel offenbar mehr als die Hälfte aller ambulanten Augenärzte. Auch in Augsburg in Bayern scheint sie eine monopolpolartige Stellung erlangt zu haben. Wie das Handelsblatt berichtet, gehört das Unternehmen Sanoptis der britischen Finanzfirma Telemos – die, so die Hinweise bereits einen Käufer dafür sucht.
Golden Opportunity for Private Equity
Ein Bericht der Beratungsfirma McKinsey aus dem Jahr 2017: Offenbar wittern die Investment-Firmen hier eine «Golden Opportunity for Private Equity», rund ein Dutzend Player suchen derzeit nach deutschen Praxen. Private-Equity-Firmen aus Grossbritannien, Luxemburg oder Skandinavien kaufen bereits reihenweise Arztpraxen und bündeln sie – zum Beispiel regional oder thematisch. Häufig geschieht dies indirekt über entsprechende Fonds. Durch die Bündelung soll die Rentabilität der Praxen steigen. Es entstehen oft auch entstehende Praxisgruppen unter einem eigenen Markennamen. In der Folge sollen diese Praxen und Vereinigten Praxen dann im Paket teuer verkauft werden.
Buy and build
Das NDR/BR-Team beschreibt das Verfahren «Buy and build», welches bei Opthalmologie, Radiologie, Gynäkologie, Orthopädie, Nephrologie, Zahnheilkunde sowie bei Internisten und Allgemeinmedizinern festgestellt werden konnte.
The buy-and-build framework is one where a big platform company is acquired followed by a series of small add-on acquisitions in the same sector to build a larger company. The idea is to build a bigger firm whose value is higher than the sum of the parts of the platform and smaller add-on companies
Ein bekanntes Beispiel der Gruppen- und Netzwerkbildung ist die Schweiz. So zum Beispiel unter der Ägide von Krankenkassen oder von Unternehmen wie die Migros. Die Vista-Gruppe betreibt eine Expansion der inzwischen zwanzig Praxen in der Schweiz angehören. Die Vista-Gruppe gehört zum Münchner Unternehmen Veonet, welches in Deutschland, den Niederlanden und Grossbritannien nochmals 180 Betriebe führt.
„Die veonet Gruppe vereint führende Anbieter augenärztlicher Leistungen in Europa. Sie bietet ein Netzwerk von mehr als 150 Kliniken, die zusammen jährlich über 1,2 Millionen Patienten versorgen. Operativ agiert veonet in vier europäischen Märkten mit starken nationalen Marken: Deutschland (Ober Scharrer Gruppe – OSG), Niederlande (eyescan), UK (SpaMedica) und Schweiz (VISTA).
Veonet wurde von der Private-Equity-Firma Nordic Capital mit Sitz in Stockholm aufgebaut. Schließlich verkaufte Nordic Capital die Veonet-Gruppe dann an einen kanadischen Pensionsfonds und eine französische Investment-Gesellschaft. Experten schätzten den Preis für den Verkauf der Veonet-Gruppe auf 2 Milliarden Euro.
Einbindung von Arztpraxen in globale Finanzstrukturen
Befragte Zeugen äußern sich in den ARD-Beiträgen. „Die Mediziner würden vermehrt angehalten, Zusatzleistungen anzubieten oder «hohe Stückzahlen» zu erzielen“. Eine Augenärztin bestätigt: „Es ist einfach ein Gewerbe, in dem möglichst viel Geld verdient werden soll. Den Patienten sollen möglichst viele Zusatzleistungen verkauft werden, die sie selbst zahlen müssten – etwa für spezielle Untersuchungen. Vor allem sei es aber um die Operation des Grauen Stars gegangen. Da sollten wir möglichst hohe Stückzahlen rekrutieren“. Weiter heist es im Bericht: „Mit Bezug auf Zahnärzte hatte ein Gutachten für die deutschen Versicherer bereits im Oktober 2020 festgestellt, dass solche Investoren-Praxen «vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen“.
Ralf Wurzbacher in einem Beitrag zum Thema: „Heuschrecken in den Arztpraxen“
Licht ins Dunkel dieser Machenschaften bringt das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES). Vor knapp zwei Monaten legte es ein Gutachten im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) vor, das konkrete Zahlen zu den Unkosten der Abzockerei für die Solidargemeinschaft liefert. Im Zentrum stehen dabei sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ), die das vielleicht größte Einfallstor für Privatisierungen im Gesundheitssektor darstellen. Anders als Vollkrankenhäuser bieten diese ambulanten Einrichtungen keine Rundumversorgung (kein 24-Stundenbetrieb, keine Notfallambulanz), sondern arbeiten in aller Regel hochspezialisiert, vor allem in Bereichen mit den größten Margen. Vor allem auf diese Häuser haben es internationale Finanzjongleure abgesehen beziehungsweise sind die großen Klinikketten mit geldwerter Unterstützung der Politik (Krankenhausstrukturfonds) damit befasst, immer mehr Regelkrankenhäuser durch solche Einheiten zu ersetzen.