Kaum ein Monat vergeht in diesem Jahr, in dem nicht ein bekanntes Unternehmen wie beispielsweise das Modehaus Peek & Cloppenburg ein Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Pforten für immer schließt. Doch diese prominenten Insolvenzen und Betriebsschließungen sind nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter verbirgt sich eine mehr oder weniger große Zahl von Unternehmensinsolvenzen, die es meist nicht in die Schlagzeilen schaffen. In den größten europäischen Ländern waren dies nach aktuellen Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform im vergangenen Jahr knapp 140.000 Unternehmen, fast ein Viertel mehr als im Jahr zuvor.

Den Hauptgrund für die Zunahme der Unternehmensinsolvenzen sieht Creditreform in den zahlreichen Belastungen, die Unternehmen im Jahr 2022 zu schultern hatten. Vor allem die steigenden Preise für Energie und Rohstoffe konnten zahlreiche Unternehmen nicht mehr verkraften. Hinzu kamen höhere Finanzierungskosten durch die Zinswende und insgesamt eine nachlassende Konjunktur. „Das Ende der Corona Pandemie war der Beginn eines kurzen Wirtschaftsaufschwungs in Europa, bevor er durch den Krieg in der Ukraine wieder abgewürgt wurde“, sagt Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. „Die folgende Energiekrise traf die Wirtschaft praktisch unvorbereitet und mit voller Wucht. Viele angeschlagene Unternehmen konnten den Mehrfachbelastungen nicht mehr standhalten.“

Die Schonfrist ist abgelaufen

2020 und 2021 waren Jahre mit sehr wenigen Unternehmensinsolvenzen, weil beispielsweise die Corona-Hilfszahlungen, Kurzarbeitergeld oder wie in Deutschland die ausgesetzte Pflicht zur Insolvenzanmeldung zahlreiche Unternehmen geschützt hatten. Das hat die Gefahr von sogenannten Zombieunternehmen signifikant erhöht. Insofern stellt sich nun die Frage, ob der neuerliche Anstieg eine Trendumkehr ist oder eine Normalisierung andeutet. Hantzsch geht aktuell davon aus, dass wir eine Art Nachholeffekt sehen, der wieder zu normalen Zahlen bei den Insolvenzen führt. Das Vor-Corona-Niveau ist aber noch nicht wieder erreicht. Deshalb sei auch für 2023 mit einem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen.

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Von einer Pleitewelle will man bei Creditreform aber nicht sprechen, auch wenn die Zunahme im zweistelligen Bereich liegt. „Die Trendwende bei den Insolvenzzahlen ist eingeläutet. Dabei ist das Ende der Fahnenstange wohl noch nicht erreicht. Der Druck bleibt auf dem Kessel, so dass auch in den kommenden Monaten mit steigenden Zahlen zu rechnen sein wird“, so Hantzsch.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kam bereits der Kreditversicherer Allianz Trade vor einigen Wochen. In seiner jüngsten Insolvenzstudie erwartet der Versicherer in diesem Jahr einen Anstieg von etwa 22 Prozent für Deutschland und im globalen Mittel mit 21 Prozent. „Eine Pleitewelle ist das weiterhin nicht, auch wenn ein zweistelliger Zuwachs zunächst den Anschein erweckt. Die Fallzahlen in Deutschland waren zuletzt jedoch auf historisch niedrigem Niveau“, sagt Milo Bogaerts, CEO von Allianz Trade in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Selbst Ende 2023 dürfte Deutschland das Niveau von vor der Pandemie noch nicht erreicht haben. Dies dürfte erst nach einer weiteren Zunahme der Insolvenzen um 6 Prozent im Jahr 2024 wieder leicht überschritten werden.“

Österreich bei den Unternehmensinsolvenzen besonders stark betroffen

Im Detail unterscheiden sich die Zahlen in den einzelnen europäischen Ländern allerdings erheblich. Grundsätzlich haben die Unternehmensinsolvenzen in den westeuropäischen Ländern um 24,2 Prozent zugelegt. Westeuropa bedeutet in diesem Zusammenhang die 14 größeren EU-Mitgliedsstaaten, Großbritannien, die Schweiz und Norwegen. Auf der anderen Seite steht Osteuropa mit einer Zunahme von 53,5 Prozent bei den Firmenpleiten. Das mit am stärksten betroffene Land ist Österreich (+ 59,7%) gefolgt von Großbritannien (+ 55,9%). In Österreich wurde mit 4.913 Unternehmensinsolvenzen der höchste Wert seit 2019 erreicht. Mehr als die Hälfte der Insolvenzen betraf den Handel und die Gastronomie. Ein Grund könnten die sehr hohen Unterstützungszahlungen während der Corona-Pandemie sein. Österreich hat hier sehr viel mehr Geld aufgewendet als andere europäische Länder.

Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa
Unternehmensinsolvenzen in Westeuropa | Veränderungen gegenüber 2021 | In Österreich nahmen die Pleiten deutlich zu, in Griechenland waren sie rückläufig

Aber es gibt auch positive Entwicklungen, beispielsweise in Griechenland, Italien und Portugal. Unter anderem in diesen Ländern waren die Insolvenzanmeldungen rückläufig. In Osteuropa stiegen die Pleiten dagegen besonders deutlich an, vor allem in Ungarn (+ 91,2%), Bulgarien (+ 61,7%) und Litauen (+ 49,5%). Aber auch in der Türkei wurden 24.303 Unternehmensinsolvenzen gemeldet, ein Plus von 41,4 Prozent.

Allerdings sind die Meldungen zur Unternehmensinsolvenz nicht in allen Ländern direkt miteinander vergleichbar. Das liegt an der teilweise unterschiedlichen Gesetzgebung bzw. an der Definition, ab wann ein Unternehmen als insolvent betrachtet wird. In Deutschland ist das der Fall, wenn ein Unternehmen seine Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, oder die Verbindlichkeiten nicht durch Vermögenswerte gedeckt sind. In manchen europäischen Ländern werden Unternehmen dann einfach dicht gemacht und es wird kein Insolvenzverfahren eröffnet. Das ist für die Gläubiger zum Nachteil, verändert aber auch die Statistik. Außerdem ist der Kreis der Gewerbetreibenden/Unternehmen, die für die Insolvenzstatistik berücksichtigt werden, nicht immer gleich. In Italien zählen beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe nicht dazu, in den meisten anderen Ländern aber schon.

Die meisten Pleiten sind im Handel zu verzeichnen

Insolvenzen sind in einer Volkswirtschaft ein normaler Vorgang und ein wichtiger Indikator zur Beurteilung des wirtschaftlichen Geschehens. Das wird auch in der aktuellen Statistik deutlich. Zwar sind die Insolvenzzahlen in allen Wirtschaftsbereichen angezogen, insbesondere durch die Energiekrise. Besonders deutlich war der Anstieg aber im Handel und im Gastgewerbe, beides Branchen, die besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen waren und denen auch die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung zusetzt. Um 34,5 Prozent sind die Unternehmensinsolvenzen in diesem Bereich gestiegen. Im Baugewerbe erhöhten sich die Insolvenzzahlen um 24,7 Prozent, im Dienstleistungsgewerbe stiegen sie um knapp 20 Prozent und im verarbeitenden Gewerbe um rund 13 Prozent.

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Bilanzkennzahlen deuten eine Erholung an

Liefern die aktuellen Zahlen zur Unternehmensinsolvenzen ein Hinweis darauf, ob die Belastungen der Corona-Jahre nun verarbeitet sind? „Die Bilanzkennzahlen aus dem Jahr 2021 zeigen eine leichte wirtschaftliche Erholung der Unternehmen“, so Ludwig Hantzsch. So würden beispielsweise deutlich weniger Unternehmen eine negative Gewinnmarge aufweisen und immerhin ein Fünftel der Unternehmen kann eine positive Gewinnmarge von mehr als 25 Prozent vorweisen. Insbesondere der Handel konnte sich diesbezüglich gut erholen.

Positiv entwickelt haben sich auch die Eigenkapitalquoten der Unternehmen. Als schwach kapitalisiert, also mit einer Eigenkapitalquote von unter 10 Prozent ausgestattet, galten 2021 nur etwa 22 Prozent, 0,6 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Auf lange Sicht betrachtet liegt der Anteil der schwach kapitalisierten Unternehmen meist in dieser Größenordnung und gilt damit als niedrig. Umgekehrt hat der Anteil der Unternehmen mit einer hohen Eigenkapitalquote (über 50 Prozent) um einen Prozentpunkt auf 47,2 Prozent zugenommen – der höchste Wert seit 2012. Das gilt auch für den Handel, der in vielen Fällen die durch Corona gebeutelte Eigenkapitalbasis wieder deutlich verbessern konnte. Immerhin 37 Prozent der westeuropäischen Handelsunternehmen gelten als gut kapitalisiert. „Trotz der wieder besseren Ergebnisse spiegeln die Unternehmensbilanzen noch die negativen Auswirkungen der Corona-Zeit“, so Hantzsch. „Die schwache Unternehmensstabilität ist Angriffspunkt für die nächste Krise. Allerdings würden zurückgehende Forderungslaufzeiten den Lieferanten und Leistungserbringern wieder schneller Liquidität verschaffen.

(TF)