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„Foulspiel im Millionengeschäft Fußball: Meine Anfrage (an den Deutschen Bundestag im Januar 2022 – Anmerkung der Redaktion) hat aufgedeckt, dass der Zoll wegen Mindestlohn-Betrugs Ermittlungsverfahren gegen mehrere Bundesligavereine eingeleitet hat“, postete am 19. Januar 2022 der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli auf Facebook.
Es geht um Lohndumping unter dem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn bei Nachwuchs-Trainern
Die Palette der Vorwürfe: Kein Mindestlohn. Kein Urlaub. Kein Urlaubsgeld. Kein Anspruch auf freies Wochenende. Und mutmaßlich sogar angeordnete Lohnzettel-Schummeleien.
Betroffen sind die drei Erstligisten:
► der FC Bayern, bei dem bereits Zeugen im laufenden Strafverfahren befragt werden,
► der FC Augsburg, bei dem die Geschäftsstelle durchsucht wurde,
► der FC Schalke 04, in deren Knappenschmiede Nachwuchstrainer jahrelang zu Dumpinglöhnen beschäftigt worden sein sollen,
► und der Zweitligist Hannover 96, der bestätigte, dass es auch dort am Nachwuchsleistungszentrum 5 Fälle gab.
Perli: „Bundesliga-Vereine, die Millionengehälter an Spieler und Funktionäre zahlen, haben Angestellte um den Mindestlohn geprellt. Das ist zynisch, und es macht sprachlos. Die Verstöße müssen aufgeklärt und bestraft werden.“
Perli fordert „empfindliche Strafen“ aufgrund der möglichen Schwere des Vergehens, zumal es sich – wie etwa beim FC Bayern – um Profiklubs mit einem Jahresumsatz von bis zu 700 Millionen Euro handle.
Zum Beispiel die Knappenschmiede von Schalke 04
Ein ehemaliger Jugendtrainer von Schalke 04 zeigte dem WDR-Magazin sport inside (Ausstrahlung am 28. Februar 2022) seine Monats-Gehaltszettel.
Auf einem Fußballplatz in Gelsenkirchen, nur einen Steinwurf von der Schalke-Arena entfernt. Der Jugendtrainer hat jahrelang in der Knappenschmiede gearbeitet. Dem Nachwuchsleistungszentrum, kurz NLZ, des FC Schalke 04. Der Mann will nicht erkannt werden aus Angst vor Ächtung in einer Branche, in der er jahrelang zu Dumpinglohn beschäftigt wurde.
Der Ex-Schalke 04-Jugendtrainer aus Gelsenkirchen kommentiert seine Monats-Gehaltszettel: „Ich habe am Anfang 175 Euro bekommen. Am Ende 350. Mit Trainingsvorbereitung und allem Drum und Dran – 25 bis 30 Stunden pro Woche waren normal.“
Dazu kamen noch die Turnierfahrten
Der Ex-Schalke 04-Nachwuchstrainer: „Und wenn Turnierfahrten waren von Freitagmittag bis Sonntagabend, dann ist man auch durch die Betreuung der Kinder im Hotel locker auf über 40 Stunden die Woche gekommen – zusätzlich zum wöchentlichen Training. Das hat überhaupt gar nichts mit Mindestlohn zu tun gehabt. Also da reden wir schon eher von einer Teilzeitstelle. Aber bezahlt wurden wir als Minijobber.“ Nicht einmal Mindestlohn. Und das auf Schalke.
Die Knappenschmiede gilt als das renommierteste Nachwuchsleistungszentrum im deutschen Fußball
Kaum ein anderer Verein hat so viele Talente zu Nationalspielern und internationalen Stars geformt. Und sie dann auch noch für hohe Millionenbeträge transferiert. Weltstars wie Julian Draxler, Leroy Sané oder Manuel Neuer wurden hier ausgebildet. Oder auch Mesut Özil und Benedikt Höwedes.
Peter Knäbel, Ex-Direktor Knappenschmiede & Entwicklung und jetziger Vorstand des FC Gelsenkirchen-Schalke 04 e.V. für Sport und Kommunikation, erklärte auf Schalke-TV: „Die Knappenschmiede ist ein Brand. Der Brand ist von unschätzbarem Wert.“
Der Ex-Knappenschmiede-Trainer erinnert sich: „Bei Turnieren hat man als Schalke 04 schon sehr viel Wertschätzung erfahren. Aber im Grunde genommen ist dieses Renommee auf dem Rücken der Trainer erarbeitet worden. Am Anfang war man stolz und dankbar, dass man das machen konnte in der berühmten Knappenschmiede. Aber nach ein paar Jahren ist es nichts Besonderes mehr, das fünfzigste Mal gegen Dortmund zu spielen. Oder gegen Bayern und Barcelona. Dann setzt dieser Prozess ein. Warum lässt du dich eigentlich ausbeuten für diese paar Euro?“
Zum konkreten Fall äußert sich der Verein nicht. Mögliche Mindestlohn-Vergehen in den NLZ der Profiklubs – das betrifft nicht nur Schalke 04.
So wie der ehemalige Schalke 04-Trainer haben sich zahlreiche ehemalige Nachwuchstrainer gemeldet, nachdem sport inside im März 2021 erstmals über Mindestlohn-Vergehen in den Nachwuchsakademien berichtete.
Es zeigt sich: Die Talentförderung im Profi-Fußball hat ein strukturelles Problem. Dumpinglöhne sind gängige Praxis.
Diese Missstände sind jetzt auch in der Politik angekommen
Der Bundestag debattierte kürzlich über Mindestlohn und bessere Kontrollen in Unternehmen, auch im Profifußball. Victor Perli ist Mitglied des Haushaltsausschusses im Bundestag. Er sagte gegenüber sport inside: „Wir möchten auch dafür sorgen, dass viel stärker dieser Bereich auch noch kontrolliert wird, dass eben diese Verstöße abgestellt werden.“
Razzia beim FC Augsburg
Hier haben sie bereits kontrolliert. Beim FC Augsburg rückte im August vergangenen Jahres der Zoll im Auftrag der Staatsanwaltschaft mit über 60 Beamten ein. Ein Ermittlungsverfahren zu Mindestlohn-Verstößen läuft. Der Verein will sich dazu nicht äußern.
Der Fall FC Bayern Campus
Gegen die Verantwortlichen der FC Bayern München AG mit ihren Nachwuchsleistungszentrum FC Bayern Campus läuft ebenfalls ein Strafermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München I über den Zoll München.
Im Visier: der aktuelle und Ex-Vorstand der FC Bayern München AG. Viele prominente Namen. Ex-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Sein Nachfolger Vorstandschef Oliver Kahn. Sportchef Hasan Salihamidzic. Vize-Vorstandschef Jan-Christian Dreesen. Dienstältester Vorstand Andreas Jung. Ex-Vorstand Jörg Wacker. Die Beschuldigten stehen im Verdacht, von möglichen unerlaubten Dumpinglöhnen am Campus gewusst zu haben.
Mindestlohn-Vergehen bei einem Klub, der im zweiten Corona-Jahr immer noch fast 650 Millionen Euro Umsatz generiert hat?
Ehemalige Trainer aus Augsburg und München hatten im März 2021 ausgepackt und sport inside Unterlagen gezeigt
Übungsleiterverträge des Fußball-Clubs Augsburg e.V. in Augsburg, gesplittet in ein kleines Gehalt von 200 Euro und die steuerfreie Übungsleiterpauschale von 50 Euro.
In den Verträgen heißt es: „Anspruch auf Urlaub oder Urlaubsentgelt besteht nicht. Der Übungsleiter hat keinen Anspruch auf ein freies Wochenende.“
Beim FC Bayern befristete Verträge für ein Jahr
Der Rekordmeister erwartete drei bis vier Mal Training pro Woche für 450 Euro. Dazu Spiele, Turniere, Elterngespräche und Scouting. Sport inside ist fast zwei Jahre in Kontakt mit ehemaligen FC Bayern-Trainern. Mit einem trafen sich die Sportreporter um Autor Matthias Wolf und Redakteur Michael Ostermann noch einmal.
Der ehemalige FC Bayern-Nachwuchstrainer erzählt: „Da wird dir immer Hoffnung gemacht, dass du eine Festanstellung bekommen kannst. Man müsse Gas geben. Wenn man da Widerrede gewagt hat, ungeduldig war, sich über die Belastung beschwert hat im Sinne von Überstunden, dann ist einem auch gedroht worden. Dann geht es zur neuen Saison halt nicht weiter, denn da gibt es Tausende in Deutschland, die diesen Job umsonst machen würden.“
Nur Nettospielzeit auf der Trainer-Abrechnung?
Die Stundenzettel, sagt der Ex-Nachwuchstrainer, habe er auf Anweisung seiner Vorgesetzten falsch ausfüllen müssen. Nur die Netto-Spielzeit. Selbst bei mehrtägigen Turnieren.
Der ehemalige FC Bayern Campus-Trainer: „Wir haben die Stundenzettel im Auftrag von Campus-Leiter Jochen Sauer ausfüllen müssen. Die Sekretärin hat ihm das zur Unterschrift vorgelegt. Auch bei der Spielzeit durften wir nur 2 Stunden aufschreiben. Aber was dann einfach dazukommt, ist die Vorbereitungszeit, die Nachbereitungszeit bei den Trainingseinheiten und Spielen. Oder Turniere. Da hat sich das Ganze summiert.“
Es gibt inzwischen mehrere Arbeitsgerichtsprozesse zwischen ehemaligen Trainern und dem FC Bayern
Der Münchener Rechtsanwalt Andreas Waldschmidt vertritt ehemalige Campus-Angestellte. Dabei habe er tiefe Einblicke erhalten in die Bezahlpraxis beim Rekordmeister. Waldschmidt: „Bayern hat viele Jugendtrainer engagiert zu 450 Euro, die sogenannten Minijobber. Und hat denen aber mehr Arbeitszeit abverlangt. Wenn man umrechnet: Der Mindestlohn war 2021 so bei 9,20 Euro. Und wenn man das dann umrechnet auf 450 Euro, dann hätten die nicht mehr als ungefähr 47 Stunden pro Monat leisten dürfen. Und ich habe Kenntnisse, dass sie teilweise über 100 lagen. Also mehr als das Doppelte.“
Zahlreiche ehemalige Campus-Mitarbeiter wurden beim Hauptzollamt München – Finanzkontrolle Schwarzarbeit im Auftrag der Staatsanwaltschaft München I als Zeugen vernommen. Beide Behörden wollen sich zum laufenden Verfahren nicht äußern.
Aber mehrere Trainer berichten aus den Zeugenbefragungen. Der FC Bayern habe argumentiert, Busfahrtzeiten seien keine Arbeitszeit. Falsch, sagt der Arbeitsrechtler.
Rechtsanwalt Waldschmidt: „Die Arbeitszeit fängt an, wenn der Trainer auf dem Campus aufschlägt. Wenn er dann am Campus eintrifft und zu einem Auswärtsspiel fahren muss und sogar mit Übernachtung. Dann ist das natürlich Arbeitszeit, weil, über diese Zeit kann er ja nicht mehr anderweitig verfügen.“
Oliver Kahn: Wir kooperieren
Der FC Bayern ließ zahlreiche journalistische Fragenkataloge der Sportjournalisten unbeantwortet. Auch jetzt wieder. Vorstandschef Oliver Kahn teilte Ende 2021 lediglich gegenüber der Deutschen Presse Agentur (dpa) mit: „Selbstverständlich kooperieren wir in dieser Angelegenheit vollumfänglich mit den Behörden. Es liegt in unserem Interesse, dass diese Vorgänge restlos aufgeklärt werden.“
Rechtsanwalt Waldschmidt kommentiert: „Man hat es drauf angelegt. Man hat sich gesagt, wir wissen, dass das unanständig ist, aber es wird sich schon keiner melden, beschweren darüber. Dann passiert ja eigentlich auch nichts. Man hat es nicht gestoppt. Erst, als die Medien ein bisschen mehr Wind um die Sache gemacht haben, hat man gemerkt, dass man das vielleicht doch nicht weiterlaufen lassen kann.“
Der FC Bayern will seine Praxis nun offenbar ändern
Im Rahmen eines noch laufenden Arbeitsgerichtsprozesses erklärte der Verein, man werde künftig keine Trainer mehr als Minijobber beschäftigen. Diese geringfügige Beschäftigung passe zeitlich nicht für den „Leistungssport im Nachwuchsbereich“.
Auch bei Schalke 04 hat ein Umdenken stattgefunden, teilt der Verein mit: „Vor rund zwei Jahren hat der FC Schalke 04 eine neue Gehaltsstruktur in der Knappenschmiede eingeführt, durch die sich die Zahl der Mini-Jobber insgesamt – und im Trainerbereich auf gerade einmal vier – reduziert hat. Der Trend ist weiterhin rückläufig.“
Doch damit allein ist das strukturelle Problem des Lohndumpings in den Talentschmieden des deutschen Profifußballs nicht gelöst. Denn die Nachwuchsleistungszentren sind Bestandteil der Lizenzierung durch die DFL Deutsche Fussball Liga. Die DFL sei nun gefordert, sich des Themas generell anzunehmen, sagen Kritiker.
Victor Perli: „Ich erwarte von der Deutschen Fussball Liga, dass hier Regeln und Standards geschaffen werden. Damit so was nicht mehr vorkommt, muss es nicht nur bei der Ausstattung Vorgaben geben, sondern auch bei der Entlohnung. Das ist ja auch im Interesse des Fußballs, dass diejenigen, die die Ausbildung der jungen Spielerinnen und Spieler machen, einen guten Lohn bekommen. Das sollte eigentlich deutlich oberhalb des Mindestlohns sein.“
Die DFL äußert sich dazu auf Anfrage nicht. Ergebnisse zu den Ermittlungsverfahren sind frühestens im April 2022 zu erwarten. Doch schon jetzt ist klar:
Mindestlohnregeln gelten auch für König Fußball
Der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland beträgt derzeit 9,82 Euro. Zum Juli 2022 wird er laut Mindestlohnanpassungsverordnung auf 10,45 Euro ansteigen. Diese Anpassung wird jedoch nur von kurzer Dauer sein. Das Bundeskabinett hat am 23. Februar 2022 den Gesetzentwurf zum Mindestlohn verabschiedet. Dieser sieht vor, dass der Mindestlohn zum 1. Oktober 2022 auf 12 Euro angehoben wird. Zudem wird die Entgeltgrenze für Minijobber von 450 auf 520 Euro erhöht. (FM)