Mit der zunehmenden Verbreitung der Elektromobilität kommen neue Herausforderungen auf die Unternehmen zu. Eine davon ist die Qualifizierung von Mitarbeitern für den Umgang und die Nutzung von Elektrofahrzeugen mit Hochvoltsystemen. Darauf hat sich der Ingenieur Jonathan Wenk mit seiner WE Mobility Academy GmbH spezialisiert. Im Interview mit Business Leaders erklärt er, warum sich Unternehmen damit auseinandersetzen müssen, welche Haftungsfragen damit verbunden sind und was die Formula Student damit zu tun hat.
Business Leaders: Mal schnell die Wischerblätter ersetzen, vor dem Winter die Reifen wechseln oder die Kühlflüssigkeit auffüllen. Alles Arbeiten die man an Autos mit Verbrennungsmotor mal eben machen kann. Bei Elektroautos ist das nicht möglich. Warum?
Jonathan Wenk: Möglich ist das schon, aber es ist nicht ratsam, vor allem für Menschen die sich beruflich mit Elektrofahrzeugen beschäftigen. Grund dafür sind die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) herausgegebenen Regeln für Arbeiten an Elektrofahrzeugen, insbesondere solchen mit Hochvolttechnik.
Speziell die DGUV Information 209-093 gibt für solche Arbeiten einen notwendigen Qualifikationsrahmen vor. Der Grund liegt auf der Hand. Elektrofahrzeuge, die mit Hochvoltsystemen betrieben werden – und das ist bei Elektroautos regelmäßig der Fall – können bei unsachgemäßem Umgang eine Gefahr für Leib und Leben darstellen, beispielsweise durch einen elektrischen Schlag oder durch sogenannte Störlichtbögen. Die DGUV hat deshalb Mindestanforderungen formuliert, die einerseits die Beschäftigten sensibilisieren und damit schützen sollen, andererseits aber auch Haftungsfragen für die betroffenen Unternehmen regeln.
Jonathan Wenk: Elektromobilität stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen und erfordert neue Spielregeln
Business Leaders: Welche Haftungsfragen sind das?
Jonathan Wenk: Das beginnt mit der grundsätzlichen Verantwortung der Unternehmen für die Sicherheit am Arbeitsplatz. Diese ist z.B. in den DGUV Vorschriften 1 und 3, allgemein im Arbeitsschutzgesetz und in den Unfallverhütungsvorschriften geregelt. Für Arbeiten an Hochvoltsystemen wird diese Verantwortung durch die DGUV Information 209-093 weiter konkretisiert. Demnach haftet ein Unternehmen bei Verstößen oder unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen in vollem Umfang.
Die Haftung kann aber auch auf den Unternehmer übergehen, der dann mit seinem Privatvermögen haftet. Dies ist z.B. der Fall, wenn der Unternehmer seinen Beschäftigten eine sicherheitswidrige Anweisung gibt, also z.B. Arbeiten an Elektroautos verlangt, obwohl die Voraussetzungen dafür nicht geschaffen wurden.
Business Leaders: Was müssen Unternehmen machen, um die Vorschriften einzuhalten?
Jonathan Wenk: Sie müssen zunächst ein Bewusstsein für dieses Risiko haben. Tatsächlich sind die Haftungsfragen in der Praxis oft nicht bekannt. Ich spreche in diesem Zusammenhang gerne vom Bremsklotz der Elektromobilität.
Deshalb versuchen wir in Gesprächen mit den Unternehmen, die Verantwortlichen für dieses Thema zu sensibilisieren. Dabei geht es nicht nur um elektrisch betriebene Firmenwagen, sondern auch um Nutzfahrzeuge und betriebliche Hilfsfahrzeuge wie Gabelstapler, sofern sie mit einer elektrischen Spannung von mehr als 60 Volt betrieben werden.
Dazu müssen in einem ersten Schritt die Gefährdungen überhaupt erkannt werden. Die DGUV spricht in diesem Zusammenhang von der Gefährdungsbeurteilung. Damit ist ein systematischer und kontinuierlicher Prozess gemeint, der die Gefährdungen am Arbeitsplatz bewertet. Für die Arbeit an Hochvoltsystemen werden dazu konkrete Kriterien formuliert. Ziel ist es, daraus geeignete technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen abzuleiten.
Unternehmen sind für die Sicherheit am Arbeitsplatz verantwortlich
Business Leaders: Wie sehen diese Schutzmaßnahmen im Einzelnen aus?
Jonathan Wenk: Die DGUV-Vorschriften unterscheiden zwischen technischen, organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen. Der Schutz beginnt also bereits am Arbeitsplatz, der für die entsprechenden Arbeiten geeignet sein muss. Er muss z. B. vollständig von anderen Arbeitsbereichen abgetrennt und erkennbar gekennzeichnet sein. Darüber hinaus ist eventuell eine Anpassung des Brandschutzes erforderlich.
Auf organisatorischer Ebene geht es vor allem um klare Strukturen und Verantwortlichkeiten. Ein Unternehmen muss sicherstellen, dass nur qualifiziertes Personal an HV-Systemen arbeitet. Es gibt aber auch neue Dokumentationspflichten und der Versicherungsschutz muss eventuell angepasst werden. Es sind also sehr unterschiedliche Bereiche eines Unternehmens betroffen.
Der dritte Bereich betrifft den persönlichen Schutz der Mitarbeiter. In erster Linie müssen die Mitarbeiter entsprechend qualifiziert werden. Dies beginnt mit Sensibilisierungsschulungen für die Nutzer von elektrisch betriebenen Firmenfahrzeugen und reicht bis hin zu besonders qualifizierten Fachkräften, die auch an Fahrzeugen unter Spannung arbeiten und Mitarbeiter mit geringerer Qualifikation beaufsichtigen dürfen. Darüber hinaus muss das Fachpersonal regelmäßig durch Schulungen auf den neuesten Stand gebracht werden. In diesen Bereich gehört natürlich auch die persönliche Schutzausrüstung, soweit sie vorgeschrieben und erforderlich ist.
Business Leaders: Was passiert, wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben der DGUV Information 209 093 halten?
Jonathan Wenk: Vereinfacht gesagt, haften sie voll, wenn sich im Zusammenhang mit einer Hochvoltanlage ein Arbeitsunfall ereignet. Diese Haftung kann unter Umständen auch persönlich auf den Unternehmer übergehen, der dann vollumfänglich, also mit seinem Privatvermögen, haftet. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn er wissentlich einen nicht qualifizierten Mitarbeiter mit Arbeiten an einem Elektroauto beauftragt.
Mit der WE Mobility Academy GmbH wollen wir Unternehmen genau davor bewahren und qualifizieren nicht nur die Mitarbeiter im Umgang mit Hochvoltsystemen, sondern bieten auch den Führungskräften Unterstützung an. Dazu haben wir eine 5-Stufen-Strategie entwickelt, mit der wir Unternehmen und ihre Mitarbeiter sicher in die Elektromobilität einführen. Das reicht vom Führungskräfteseminar über Qualifizierungsmaßnahmen bis hin zur Prozessoptimierung und Sicherstellung der Dokumentationspflichten.
Verfügt ein Unternehmen über qualifiziertes Personal, kann es die Verantwortung auch delegieren und sich so von der persönlichen Haftung befreien. Dazu müssen jedoch alle Voraussetzungen erfüllt sein und die Beauftragung eines Mitarbeiters muss schriftlich erfolgen und bestätigt werden. Das ist in der Praxis üblich und sorgt für einen reibungsloseren Ablauf. Allerdings, und das möchte ich noch einmal betonen, muss die beauftragte Person entsprechend qualifiziert sein, d.h. nach den Vorgaben der DGUV Information 209 093.
Mit der WE Mobility Academy GmbH bereiten wir Unternehmen auf die Elektromobilität vor
Business Leaders: Sie haben 2021 die WE Mobility Academy GmbH gegründet. Was war Ihre Motivation zu diesem Schritt?
Jonathan Wenk: Elektromobilität macht Spass, birgt aber auch Risiken, die für alle Beteiligten neu sind. Ich beschäftige mich seit 2017 beruflich mit Elektromobilität und Hochvolttechnik. In dieser Zeit konnte ich viele Erfahrungen sammeln und Wissen aufbauen, habe aber auch gesehen, wo noch Nachholbedarf besteht.
Der beschleunigte Hochlauf der Elektromobilität in den letzten Jahren hat auch dazu geführt, dass das Regelwerk überarbeitet wurde und viele Unternehmen und ihre Beschäftigten zum ersten Mal mit den Herausforderungen dieser Technologie konfrontiert wurden.
Die erste Version der DGUV Information 209 093 aus dem Jahr 2012 wies noch einige Lücken auf, die mit der aktuellen Version aus dem Jahr 2021 geschlossen wurden. Aber auch diese Regelungen nützen nichts, wenn sie nicht angewendet werden und die Betroffenen sie nicht verstehen. Genau das war mein Ansatz, ein neues Schulungskonzept zu entwickeln, sozusagen von Experten für Experten. Aber immer mit dem Ziel, den Teilnehmern den Umgang mit der Hochvolttechnik näher zu bringen und sie in die Lage zu versetzen, sicher damit umzugehen.
Meine Erfahrungen mit anderen Schulungsanbietern gaben mir die Zuversicht, dass es dafür einen großen Bedarf gibt. Und tatsächlich wurde das Angebot gut angenommen. Bis heute haben wir unser Wissen in über 100 Unternehmen eingebracht und mehr als 4.500 Teilnehmer geschult.
Business Leaders: Wie sehen diese Schulungen aus?
Jonathan Wenk: Wir haben ein modulares Schulungskonzept entwickelt, mit dem jeder Mitarbeiter genau die Schulung erhält, die er benötigt. Grundsätzlich wollen wir die Teilnehmer schnell, kostengünstig und vor allem sicher schulen. Unser Anspruch ist, dass die Menschen, wenn sie unseren Kurs verlassen, die Informationen wirklich verstanden haben und sie im Alltag sicher anwenden können.
Grundsätzlich bietet unser Schulungskonzept alle Stufen an, wie sie in der DGUV Information 209 093 beschrieben sind. Also von der Sensibilisierungsschulung für Nutzer von Elektrofahrzeugen bis zur Stufe 3 für Arbeiten an unter Spannung stehenden Systemen, jeweils für die Bereiche E Forschung und Entwicklung sowie S für Arbeiten an Serienfahrzeugen.
In fünf Tagen können sich die Teilnehmer qualifizieren. Dabei setzen wir auf Live-Online-Veranstaltungen und Präsenztage, die entweder an unseren Schulungsstandorten oder Inhouse direkt bei unseren Kunden vor Ort durchgeführt werden.
In fünf Tagen zum Hochvolt-Experten für Arbeiten an Elektroautos
Business Leaders: Welche Aspekte beeinflussen die Auswahl des richtigen Qualifikationsniveaus?
Jonathan Wenk: Das hat vor allem mit dem jeweiligen Einsatzgebiet zu tun. Grundsätzlich unterscheidet man, wie bereits erwähnt, zwischen der Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen und Arbeiten an Serienfahrzeugen. Darüber hinaus ist die Art der Arbeit von Bedeutung, d.h. ob es sich um nichtelektrische Tätigkeiten, Arbeiten an spannungsfreien Systemen oder Arbeiten unter Spannung handelt. Die Sensibilisierungsschulung muss von allen Teilnehmern absolviert werden, sie ist eine Art Basisschulung, die auf den Umgang mit Elektrofahrzeugen vorbereitet.
Business Leaders: Gibt es berufsqualifizierende Abschlüsse, die bereits eine Hochvolt-Ausbildung beinhalten?
Jonathan Wenk: Ja, die gibt es. Ausgebildete Kfz-Mechatroniker der Jahrgänge seit 2013 werden in ihrer Ausbildung auch an Hochvolt-Systemen geschult. Mit der Ausbildung wird der Fachkundenachweis der Stufe 2S erbracht. Kfz-Mechatroniker können also höher in unser Schulungskonzept einsteigen.
Anders stellt sich die Situation an den Hochschulen dar. In den ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen gibt es bisher nur wenige Möglichkeiten, Basisqualifikationen zu erwerben, die den Anforderungen der DGUV entsprechen. Dennoch gibt es an den Hochschulen zahlreiche Studenten, die an solchen Systemen arbeiten, z. B. in der Formula Student. Das ist nicht verboten, birgt aber Risiken. Deshalb kooperieren wir mit der Formula Student und bieten den Studenten kostenlose Basisschulungen und für Interessierte weiterführende Schulungen zu deutlich reduzierten Kosten an. Inzwischen haben bereits mehr als 1.000 Studenten an diesen Schulungen teilgenommen.
Business Leaders: Wie sind Sie dazu gekommen?
Jonathan Wenk: Das hat mit meiner eigenen Vergangenheit zu tun. Während meines Studiums an der Technischen Universität Hamburg war ich in der Formula Student aktiv und habe Karosserien für die elektrisch angetriebenen Rennwagen entwickelt. In dieser Zeit und in meinen ersten beruflichen Stationen als Projektleiter und selbstständiger Konstrukteur für Elektrofahrzeuge gab es immer viel Enthusiasmus und gleichzeitig wenig Sicherheitstraining. Natürlich sind sich die Ingenieure der Gefahren von Hochvoltsystemen bewusst, aber wir wollen ihnen in unseren Schulungen auch die Sicherheit geben, in Zukunft sicherer an solchen Systemen zu arbeiten.
Jonathan Wenk: In den Unternehmen muss die Notwendigkeit und Dringlichkeit für sicheres Arbeiten an Elektrofahrzeugen erkannt werden
Business Leaders: Elektromobilität hält immer mehr Einzug in unseren Alltag. Der Bedarf an entsprechend ausgebildeten Fachkräften wird weiter steigen. Was sind die nächsten Schritte mit der WE Mobility Academy GmbH?
Jonathan Wenk: Davon gehe ich aus. Deshalb wollen wir unser Angebot auch so weiterentwickeln, dass es den Bedürfnissen der Unternehmen entspricht. So werden wir beispielsweise unser Schulungsportal weiter ausbauen, um in einem nächsten Schritt auch Online-Videokurse anbieten zu können. Damit können wir unser Schulungsangebot besser skalieren und noch stärker an die Bedürfnisse der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter anpassen.
Im Moment wollen wir vor allem die Führungskräfte in den Unternehmen besser erreichen und ihnen die Notwendigkeit von E-Mobilitätsschulungen näher bringen und sie über mögliche Risiken aufklären. Hier ist der Bedarf noch sehr groß. Viele Unternehmen wissen einfach nicht, welche Verantwortung sie in diesem Bereich haben und welche Haftung sich daraus ergibt. Aus diesem Grund haben wir ein exklusives Führungskräfteseminar entwickelt, in dem wir das notwendige Wissen vermitteln, wie Unternehmen typische Fehler vermeiden können und so beim Thema Elektromobilität und Arbeitsschutz auf der sicheren Seite sind.
Lesen Sie auch den Beitrag „WE Mobility Academy – Praxisnahe Hochvoltschulung von Experten“ auf SQUAREVEST. Mehr Informationen liefert auch die Webseite der WE Mobility Academy GmbH.