Der deutsche Diplombetriebswirt Michael Oehme (58) ist Consultant der CapitalPR AG aus Sankt Gallen, verschafft deutschen Unternehmen Marktzutritte und Kapital in der Schweiz. Er selbst siedelte 2011 vom hessischen Friedberg in die Schweizer Alpen.
Hält er die Schweiz als Einwanderungsland für lukrativ? Oehme: „Ja, Arbeitnehmer genießen eines der höchsten Pro-Kopf-Löhne in Europa. Und die Lebensqualität wird von vielen internationalen Consultingfirmen als eine der besten in der Welt beurteilt.“ Und für deutsche Unternehmer interessant: „Nebenbei bietet die Schweiz eines der freundlichsten Steuersysteme und für Unternehmen Steueranreize unterschiedlichster Art.“
Michael Oehme – keine Neidkultur
Angenehm empfindet Oehme in der Schweiz: „Und eine Neidgesellschaft ist den Schweizern ebenso fremd, wie seinen Nachbarn im Zweifel nicht hilfreich zur Verfügung zu stehen.“
Oehme ist ein gefragter Referent unter anderem mit seinem Vortrag: „Ist die Schweiz ein Vorbild, von dem Europa lernen kann?“. Der leidenschaftliche Berater ist zudem anerkannter Immobilienexperte. Er berät Schweizer Immobilienunternehmen bei der strategischen Ausrichtung, Positionierung und Realisierung von Erfolgsstrategien. Sein oberstes Anliegen dabei: „Den vorhandenen Graben zwischen Presse und Finanzberatung füllen.“
Im Interview mit Business Leaders erzählt Oehme wie er das macht und gewährt dabei zum ersten Mal öffentlich sehr persönliche Einblicke in sein Leben.
1. Business Leaders: Um ein Unternehmen im Markt bekannt zu machen, muss man wissen, wie der Markt tickt und was die Leute hören wollen. Waren Sie schon immer ein schlauer Junge, der Dinge vermarkten wollte? Was hat Ihnen imponiert? Wer oder was hat Sie inspiriert, ein Unternehmensberater zu werden?
Michael Oehme: „Sehr viel gelesen“
Michael Oehme: „Ich war leider kein ‚schlauer Junge‘, dem alles in die Wiege gelegt wurde. Ich bin allerdings in einem ‚einfachen‘, liebevollen Elternhaus aufgewachsen und habe früh gelernt, dass man mit Fleiß viel erreichen kann. Außerdem haben meine Eltern in mich vertraut. Und ich durfte – als erster in unserer Familie übrigens – ein Gymnasium besuchen. Es war ein humanistisches Altsprachen-Gymnasium. Und bei Latein und Altgriechisch habe ich sicher den ersten Schliff erhalten. Einige meiner Mitschüler kamen dabei aus recht vornehmem Haus und beim Besuch derer Familien konnte ich kennenlernen, dass die Welt noch interessante Möglichkeiten offenhält. Ich habe dabei sehr viel gelesen, Literatur über Psychologie und Soziologie, aber eben auch von Unternehmensberatern wie Tom Peters und später die Bücher von Edgar K. Geffroy, Roland Frank und Nikolaus B. Enkelmann, um nur einige zu nennen. Das hat mich sehr inspiriert, auch im Hinblick auf die Themen Vermarktung und Verkauf.“
2. Business Leaders: Wie sahen dann Ihre ersten Berufsschritte aus?
Michael Oehme: „Nach einer Lehre als Sozialversicherungsfachangestellter und einigen Jahren als jüngster Geschäftsstellenleiter der DAK, habe ich schließlich noch ein BWL-Studium begonnen. Ich wollte die Unternehmensabläufe und deren Einbindung in die Volkswirtschaft einfach besser verstehen. Da ich allerdings von Bertelsmann für den DFI Gerlach Report abgeworben wurde – Heinz Gerlach schied damals aus und sie brauchten jemanden für die Vermarktung der Seminare und Tagungen sowie für das ‚gelbe Revolverblatt‘ – musste ich mein Studium in nur fünf Semestern abschließen. Ich erinnere mich, wie ich voller Stolz mit meiner Diplomarbeit ‚summa cum laude‘ zum damaligen Chef-Redakteur Helmut Kapferer kam und mir anhören musste: ‚Schön, das ist Theorie. Willkommen in der Praxis!‘“
Viele Visitenkarten von Finanzdienstleistern gesammelt
Michel Oehme: „Und da war ich dann auch wirklich. Ich erinnere mich ewig an den ersten Vertriebskongress. Da stolzierten die großen Vertriebsbosse in die Halle, unter dem rechten Arm eine blonde ‚Sekretärin‘ und unter dem linken eine Brünette. Die hatten, ‚mit Verlaub‘ so dicke Eier, dass sie kaum laufen konnten. Und vor dem Hotel stand eine Luxuskarosse neben der anderen. Oder ein Kongress zum Thema Bankgarantie-Geschäfte. Seinerzeit moderierte Heinz Gerlach. Sein erster Spruch war: ‚Wenn ich mich umsehe und nicht täusche, sitzen hier 500 Jahre Gefängnis auf dem Podium!‘ Das waren also meine ersten Schritte in der Finanzdienstleistung. Später, 1996, habe ich mich dann als Berater für Finanzdienstleister selbstständig gemacht. Ich wollte und habe Finanzdienstleister beraten, professionell aufzutreten, Neukunden zu gewinnen und so weiter, die ganze Palette eben. Bei meinen gefühlt unzähligen Seminaren habe ich viele Visitenkarten gesammelt. Alle fanden das toll, was ich referiert habe, allerdings hatte keiner das Geld, mich zu bezahlen – oder sie wollten es eben nicht. Sie kennen das alles. Wichtig war mir dabei immer, dass Finanzdienstleister auch die Presse in ihr Handeln einbinden und somit den vorhandenen Graben zwischen Presse und Finanzberatung füllen sollten. Dieses Unverständnis bestand seinerzeit und besteht zum großen Teil heute noch.“
Innige Freundschaft mit Dorothee Schöneich (finanzwelt, Wiesbaden)
Michael Oehme: „Geändert hat sich meine Situation erst, als ich Dorothee Schöneich von der finanzwelt in Wiesbaden kennenlernte. Für mich eine der profiliertesten Persönlichkeiten der Finanzbranche. Wir haben festgestellt, dass zur damaligen Zeit die Emittenten – die überwiegend auch aus dem Vertrieb kamen – das gleiche Problem, nämlich den professionellen Umgang mit der Presse und mit Analysten hatten und es eine gegenseitige Scheu voreinander gab. Es hat sich eine langjährige, sehr interessante und ereignisreiche Zusammenarbeit ergeben, aus der auch eine innige Freundschaft erwachsen ist. In dieser Zeit konnte ich sehr viele Erfahrungen sammeln – positive wie negative. Eine negative Erfahrung war dabei sicher, dass man mich als Berater seitens der Presse für Entwicklungen von Unternehmen verantwortlich machen wollte, auf die ich gar keinen Einfluss nehmen konnte. Oftmals fehlten mir auch Informationen, die mich deren Entscheidungen oder Absichten überhaupt hätten nachvollziehen lassen. Ich habe hieraus meine Konsequenzen gezogen.“
3. Business Leaders: Was war denn das Schlüsselerlebnis, das Sie zum Fan der Schweiz werden ließ?
Michael Oehme: „Sie werden es kaum glauben, aber meine ersten Erfahrungen mit der Schweiz sammelte ich im zarten Alter von 19 Jahren. Ich wohnte damals in einer Wohngemeinschaft nahe Frankfurt. Zwei der Mitbewohner waren Schweizer, die drei Monate im Jahr als Senner in den Berner Alpen arbeiteten. Da ich der einzige mit einem Auto war, habe ich sie zu ihrem ‚Schweizer Arbeitsplatz‘ gebracht und konnte so sowohl die Zürcher Intellektuellenszene als eben auch die besondere Welt der Schweizer Alpen und deren Bevölkerung kennenlernen. Die besondere Mischung aus Kultur, Zukunftsorientierung und Basisdemokratie fasziniert mich noch heute. Nicht zuletzt natürlich auch die hohe Lebensqualität, die unter anderem Grund dafür ist, dass viele Headquarters von Weltunternehmen ihren Führungsstab hier leben lässt.“
Michael Oehme: „Effizienz ist keine Frage der Größe“
4. Business Leaders: Was macht die Schweiz zum Vorbild für Europa?
Michael Oehme: „Das ist eine schwierige Frage, die ein Schweizer ungern beantworten würde. Schweizer sind nämlich viel zu bescheiden, ihr Handeln in den Vordergrund zu stellen. Deshalb ecken hier auch manche Deutsche an, die sich ‚aufspielen‘. Der Schweizer würde sich charmant zurücklehnen und behaupten, „wir machen es nicht besser, sondern anders.“ Für den Schweizer bedeute das beispielsweise, dass die zweite Röhre im Gotthardtunnel nicht nur schneller fertig wurde als geplant, sondern auch noch unter dem ursprünglich angesetzten Etat. Kennen Sie ein einziges Beispiel aus Deutschland der letzten 20 Jahre, dass dies von sich behaupten kann? Mir ist dabei durchaus bewusst, dass die Schweiz ein überschaubar kleines Land ist, doch Effizienz ist keine Frage der Größe. Und die Selbstbestimmung von Bürgern beziehungsweise die Integration von Ausländern auch keine. Die Schweiz hat einen Ausländeranteil von mehr als 25 %, funktioniert – genau genommen – in vier Sprachen. Aber Sie werden kaum jemanden finden, der dies bemerkt.
5. Business Leaders: Schwerpunkt Ihrer Beratungstätigkeit ist die Ansiedelung von Unternehmen und Privatpersonen in der Schweiz. Warum halten Sie die Schweiz als Einwanderungsland für lukrativ?
Michael Oehme: „Ich habe es in meinen vorherigen Ausführungen eigentlich schon angedeutet. Die Schweiz bietet ein investitionsfreundliches, steuergünstiges Umfeld für Unternehmen und für Arbeitnehmer attraktive Arbeitsbedingungen. Überall in der Schweiz werden Fachkräfte gesucht, viele Deutsche sind aber beispielsweise auch in die Schweiz gekommen, um hier als Bademeister, Friseure oder in der Gastronomie zu arbeiten. Sie haben dabei ein Einkommen, das in etwa dem Doppelten dessen entspricht, was sie in Deutschland gehabt haben. Dies ist auch mit ein Grund, warum beispielsweise in der Ostschweiz ein hoher Anteil der Ärzte und des Krankenhauspersonals aus Deutschland kommen. Ärzte bestätigten mir, dass sie dabei weniger Verwaltungsaufwand, mehr Freizeit, gepaart mit einer höheren Liebesqualität, haben. Keiner der von mir gesprochenen Ärzte wollte nach Deutschland zurückkehren.“
6. Business Leaders: Heute beraten Sie auch Schweizer Immobilienunternehmen. Was können umgekehrt die Schweizer Bauträger von Ihnen lernen?
Michael Oehme: „In der Tat ist das Thema Vermarktung und aktiver Verkauf in der Schweiz noch nicht so angekommen, wie wir es aus Deutschland heraus kennen. Das mag mit der Schweizer Zurückhaltung zu tun haben. Fernerhin sind auch Schweizer Unternehmen dankbar für alternative Finanzierungsmöglichkeiten, da diese ähnlich strengen Reglementierungen der Banken unterliegen wie in Deutschland. Die Erfahrungswerte hierzu konnte ich gut im Schweizer Immobilienmarkt nutzen und verwirklichen.“
„Hinter all diesen Marktteilnehmern stehen Menschen“
7. Business Leaders: Sie waren viel Jahre lang Chefredakteur der finanzwelt im hessischen Wiesbaden. Das Magazin ist ein Bindeglied zwischen Produktgebern und Vertrieben. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis, die Sie in dieser Zeit gewonnen haben?
Michael Oehme: „Meine Zeit als Chefredakteur von finanzwelt möchte ich wirklich nicht missen, da sie meinen Erfahrungsschatz in den darauffolgenden Jahren deutlich erweitert hat. Zudem ist Dorothee Schöneich aus meiner Sicht eine der profiliertesten Unternehmerinnen in Deutschland. Es ist schwierig, diese Zeit auf nur eine wichtige Erkenntnis zu reduzieren. Vielleicht diese, dass hinter all diesen ‚Marktteilnehmern‘ Menschen stehen, mit all ihren Wünschen und Zielen, aber eben auch Sorgen und Nöten. Und der erste Eindruck ist oftmals nur ein kleiner Teil dessen, was dahintersteht. Sie würden beispielsweise niemals erahnen, wie viele vermeintlich harte Haudegen auch ihre soziale Seite haben und dementsprechend sozial engagiert sind.“
8. Business Leaders: Gibt es für Sie noch ein Neuland, das Sie gern noch betreten würden?
Michael Oehme: „Wie viele Menschen, die von sich behaupten können, dass sie an einem Ziel der Lebensverwirklichung angekommen sind, möchte man irgendwann auch etwas mehr zurückgeben. In meinem konkreten Fall haben meine neue Lebenspartnerin und ich, sie stammt ursprünglich aus der Dominikanischen Republik, begonnen, in ganz kleinen Schritten ärmere Familien vor Ort zu unterstützen. Ein nächster Schritt ist die Zusammenarbeit mit einer regionalen Schule. Nur wenige Dominikaner sprechen Englisch. Und daher würden wir gerne die Sprachbildung von Schülern fördern. Sie sehen also, mein Neuland ist eher sozialer Natur. Vielleicht ist dies ja auch meinem Alter geschuldet.“
Business Leaders: Herr Oehme, wir danken für das Interview.