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Das Schweizer Bankgeheimnis wurde 2018 mit dem AIA löchrig. Aber nur für 100 Länder. Für 90 Länder nicht. Aufgrund des Drucks von USA, Deutschland und anderer Länder setzte die Schweiz im Jahr 2018 ein Verfahren zum AIA um. Zum Automatischen Informationsaustausch. Einem internationalen Verfahren zum Bekämpfen von Steuerhinterziehung. Banken müssen Kontoinformationen von Ausländern an deren Heimatbehörden melden.
Bankenlobbyist Jörg Gasser (*1969), CEO der mächtigen Schweizer Bankiervereinigung SwissBanking aus Basel, sagte dem NDR nun im Jahr 2022: „Wenn es sich um Staaten handelt, mit denen die Schweiz ein Abkommen hat über den Informationsaustausch, dann sehe ich eigentlich eine gute Chance, dass man diese schlechten Kunden identifizieren kann.“
Für Steuerhinterzieher aus rund 100 Ländern ist die Schweiz seitdem nicht mehr sicher. Allerdings sind mehr als 90 Länder nicht dabei. Darunter die ärmsten und korruptesten. Darunter viele Länder, die im neuesten Datenleck „Suisse Secrets“ der Schweizer Großbank Credit Suisse vom Februar 2022 stark vertreten sind.
Wie Ägypten, Mozambik und Venezuela. Die erfahren nichts von ihren Risikokunden.
Wohin das Schweizer Bankgeheimnis für diese Länder führen kann, zeigt das Beispiel Venezuela
Dort leben 90 Prozent der Menschen in Armut, obwohl das Land die reichsten Ölvorkommen der Welt besitzt.
Ein Whistleblower hat im Februar 2022 18.000 Daten von 30.000 Bankkunden der Credit Suisse Group AG an die Süddeutsche Zeitung geschickt, mit der Nachricht: „Ich glaube, dass das Schweizer Bankgeheimnis unmoralisch ist“.
Die Credit Suisse ist nach der UBS und vor der Raiffeisen Gruppe die zweitgrößte Bank der Schweiz und residiert am Züricher Paradeplatz 8.
Die NDR-Dokumentation „Suisse Secrets – Schmutziges Geld“ zeigt, wie die Schweizer Bank Credit Suisse offenbar über Jahre dazu beigetragen hat, dass Venezuela ausgeplündert werden konnte.
Das Land werde systematisch ausgeplündert und sei heute eine Kleptokratie, sagt Lateinamerika-Experte Professor Dr. Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Vize-Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit aus Berlin Wilmersdorf. Das sei einer der Gründe für die verheerende Situation heute. „Es gibt eine Logik insbesondere derjenigen, die jetzt an den Hebeln der Macht sitzen, sich da schadlos zu halten und sich für die gesamte Sippschaft zu engagieren“.
Die Credit Suisse streitet in ihrer Stellungnahme vom 20. Februar 2022 ab, illegale Aktivitäten zu unterstützen.
Das Datenleck Suisse Secrets zeigt jedoch, dass korrupte Eliten ihre erbeuteten Millionen unter anderem bei der Credit Suisse versteckt haben sollen.
Im Zentrum der Betrugs- und Korruptionswirtschaft steht Venezuelas staatlicher Ölkonzern, PDVSA. Die staatliche Erdölfirma ist inzwischen so heruntergewirtschaftet, dass es im Petroleum-Paradies nicht mal mehr Benzin an Tankstellen gibt.
Die mit der Auswertung des Datenlecks Suisse Secrets betrauten Journalisten konnten insgesamt 25 Bankkonten identifizieren, die mit dem PDVSA-Schmiergeldskandal in Verbindung stehen beziehungsweise gestanden haben. Zeitweise lagen auf diesen Konten deutlich mehr als 200 Millionen Euro. Auch der ehemalige Vize-Energieminister Nervis Villalobos gehörte demnach zu den Kunden der Bank.
Venezolanischer Ex-Vize-Energieminister Nervis Villalobos bunkerte demnach Millionen
Villalobos, gegen den in vier Ländern Ermittlungen laufen, gilt ebenfalls als eine entscheidende Figur im Schmiergeldskandal um den Ölkonzern. Der Mann, der inzwischen in den USA wegen Korruption angeklagt wurde, hatte bis 2013 ein Konto bei der Credit Suisse.
Bei einer internen Prüfung der Bank fiel Villalobos 2008 auch den Credit-Suisse-Mitarbeitern auf, die notierten, dass Villalobos in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt gewesen sein soll. Dennoch blieb Villalobos bis ins Jahr 2013 Kunde der Bank mit einem Kontostand von zeitweise 9,5 Millionen Schweizer Franken (9,11 Millionen Euro).
Der frühere Spitzenpolitiker mit direkten Verbindungen zu Staatschef Hugo Chavez soll sich derzeit in Spanien aufhalten. Fragen zu seinem Geld in der Schweiz beantwortete er nicht.
Die Schweizer Expertin für Wirtschaftskriminalität Rechts-Professorin Dr. Monika Roth (71) aus Luzern sieht die Bank in der Pflicht: „Ausländische Minister, Staatschefs, hohe Beamte sind politisch exponierte Personen im Sinne der Geldwäscherei-Prävention. Und für diese Geschäftsbeziehungen gelten massiv erhöhte Sorgfaltspflichten, sowohl bei der Aufnahme wie bei der Überwachung.“
Das Verhalten der Credit Suisse wirft Fragen auf. Das 1998 in Kraft getretene schweizerische Geldwäschegesetz verlangt von Banken, die Konten verdächtiger Kunden zu melden.
Credit Suisse sieht sich im Recht
Die Credit Suisse äußerte sich auf Anfrage nicht zu Einzelfällen.
In einer schriftlichen Stellungnahme weist sie die Vorwürfe von sich: „Diese Fälle basieren auf unvollständigen, zusammenhangslosen Informationen. Das führt zu einseitigen Erklärungen des Geschäftsverhaltens der Bank.“
Die Fälle seien meist historisch und die Bank habe auf Missstände gemäß den damals geltenden Richtlinien reagiert. Zudem würde man sich grundsätzlich an alle geltenden Gesetze halten.
Bank soll auch verdächtige Kunden wie Carlos Luis Aguilera Borjas akzeptiert haben
Ausweislich der „Suisse Secrets“-Daten hat die Credit Suisse über Jahre hinweg auch Kunden aus Venezuela akzeptiert, bei denen alle Warnglocken hätten läuten müssen. Zum Beispiel der ehemalige Bodyguard von Ex-Premierminister Hugo Chavez, der spätere Geheimdienstchef Carlos Luis Aguilera Borjas, auf dessen Konto sich zeitweise acht Millionen Schweizer Franken (7,67 Millionen Euro) befanden.
Seit 2015 wird gegen ihn in Andorra wegen Korruption ermittelt. Woher das viele Geld auf seinem Konto stammt, wollte Borjas auf Nachfrage von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ nicht beantworten.
Roberto Rincon: aktive Credite Suisse-Konten trotz Schuldeingeständnis
Genau so wenig wie der Unternehmer Roberto Ríncon, der im PDVSA Schmiergeld-Skandal eine entscheidende Rolle gespielt haben soll. Bei der Credit Suisse Bank hatte er sieben Konten, auf denen zeitweise 68 Millionen Schweizer Franken (65,23 Millionen Euro) lagen. Vier der Konten waren auch noch Monate nach seinem Schuldeingeständnis aktiv.
Bank hat Pflicht zur Überprüfung
Nach Schweizer Recht dürfen Banken kein Geld annehmen, von dem angenommen werden muss, dass es aus Verbrechen stammt. Bei der Überprüfung von Kunden müssen sie dabei besondere Risikofaktoren berücksichtigen, zum Beispiel, welche Vermögenswerte ein Kunde einbringt, ob es sich bei ihm um eine politische exponierte Person handelt und natürlich, aus welchem Land der Kunde stammt.
Die Schweizer Compliance-Expertin Monika Roth nennt das Verhalten der Bank „haarsträubend“ und „durch nichts zu rechtfertigen“: „Das ist ein Totalversagen und führt eigentlich alle Präventionsmaßnahmen gegen Geldwäscherei und Korruption ins Nichts, lässt sie leerlaufen.“
Keine inhaltliche Stellungnahme von Credit Suisse
Auf Nachfrage teilte die Bank schriftlich mit, dass sie zu einzelnen Kundenbeziehungen keine Aussage treffen könne. Grundsätzlich halte sich die Bank an alle Gesetze, zudem lägen die nun aufgeworfenen Fälle in der Vergangenheit. Weiter heißt es in einem Schreiben der Bank: „In den letzten Jahren hat die Bank eine Reihe bedeutender Maßnahmen in Einklang mit Finanzreformen in der Schweiz umgesetzt, einschließlich umfassender Investitionen speziell im Bereich Compliance und zur Bekämpfung von Finanzkriminalität.“
Die Credit Suisse ist dabei nicht die einzige Schweizer Bank, die in den vergangenen Jahren hochriskante Geschäfte mit vermögenden Kunden aus Venezuela gemacht hat. Im Zuge US-amerikanischer Ermittlungen hat auch die Schweizer Finanzmarktaufischt Finma in den vergangenen Jahren die Venezuela-Geschäfte mehrerer Schweizer Finanzinstitute untersucht.
Hierbei stellten die Aufseher auch Defizite bei der Credit Suisse fest, woraufhin die Bank mehrere Maßnahmen umsetzte, die zu einer Verbesserung der Geldwäscheprävention führen sollten. Ob die Finma auch die durch die „Suisse Secrets“ aufgedeckten Fälle untersucht hat, ist nicht bekannt.
Über die Credit Suisse Group AG
Die Credit Suisse beschäftigt etwa 51.030 Mitarbeitende. Die Namenaktien (CSGN) der Credit Suisse Group AG sind in der Schweiz sowie in Form von American Depositary Shares (CS) in New York kotiert.
Die Gruppe rechnet mit einem Finanzverlust im II. Quartal 2022. Seit Anfang März 2021 hat die Aktie über die Hälfte an Wert eingebüßt. Damals begann die Notabwicklung von zusammen mit Greensill geführten Fonds. Wenig später kostete die Bank der Zusammenbruch des US-Hedgefonds-Kunden Archegos Capital eine Sonderbelastung von 4,4 Milliarden Schweizer Franken, umgerechnet 4,2 Milliarden Euro. Dazu kommen teure Gerichtsverfahren und Skandale rund um die Bankspitze.
Vor der geplanten Präsentation von Group CEO Thomas Gottstein an der Goldman Sachs European Financials Conference am Donnerstag, 9. Juni 2022, gab die Credit Suisse Group AG in einem Update zum bisherigen Verlauf des zweiten Quartals 2022 am 8. Juni 2022 bekannt: „Das Jahr 2022 wird mit Blick auf die zweite Jahreshälfte weiterhin ein Übergangsjahr für die Credit Suisse bleiben. Angesichts des Wirtschafts- und Marktumfelds beschleunigen wir unsere Kosteninitiativen über die gesamte Gruppe hinweg mit dem Ziel, ab 2023 eine Maximierung der Einsparungen zu erzielen. Nähere Details werden wir an unserem Investoren Deep Dive am 28. Juni 2022 bekanntgeben. Wir konzentrieren uns weiterhin auf die disziplinierte Umsetzung unserer Strategie, unserer regulatorischen Sanierungsprogramme sowie die Verankerung des Risikomanagements im Kern der Bank.“
Der US-Senat ermittelt gegen die Credit Suisse. Denn die Credit Suisse soll sich nicht an ihre Versprechen von 2014 gehalten haben, kein Schwarzgeld von US-Amerikanern anzunehmen. Und auch noch Jahre später Amerikanern bei der Steuerhinterziehung geholfen haben.
In London läuft ein Verfahren gegen die Credit Suisse, weil Bankerinnen und Banker mit Anleihen geschummelt haben sollen. Mozambik ist heute zahlungsunfähig.
Und zuletzt musste der Chefaufseher von Credit Suisse, der portugiesisch-britische Banker António Horta-Osório (58), am 17. Januar 2022 als Verwaltungsratspräsident der Credit Suisse Group AG zurücktreten, weil er anscheinend dachte, die Corona-Regeln gelten für ihn nicht. Statt Quarantäne jettete er lieber zum Tennisfinale nach Wimbledon.
Schattenfinanzindex 2022 – Schweiz „nur“ auf Platz 2
Im Fall des Datenlecks Suisse Secrets hält sich die Credit Suisse rechtliche Schritte offen. Schließlich gehe es um einen möglichen Bruch des Bankgeheimnisses. In der Stellungnahme vom 20. Februar 2022 heißt es: „Hinter den Behauptungen einiger Medien steckt offensichtlich eine konzertierte Aktion mit der Absicht, nicht nur die Bank, sondern den gesamten Schweizer Finanzplatz, der sich in den vergangenen Jahren grundlegend gewandelt hat, in Verruf zu bringen.“
Das stimmt. Der Finanzplatz Schweiz hat sich verbessert. Die Schweiz ist nicht mehr auf Platz 1, sondern auf Platz 2 der Hitliste der undurchsichtigsten Finanzzentren der Welt. Erstmals liegen die USA im Jahr 2022 an der Spitze des Rankings „Schattenfinanzindex“ des Tax Justice Network aus Wien, das insgesamt 141 Staaten auf illegale und illegitime Finanzströme untersucht. Auf Platz 3 folgt Singapur. Bemerkenswert ist das Vorrücken Deutschlands auf Platz 7.
Die Schweizer Richterin für Banken-Regelwerk Monika Roth sagte dem NDR: „Letztlich diskutiert man eigentlich über ein Delikt, wo das Opfer kein Gesicht hat. Das Opfer ist die Gesellschaft, das System, das eben nur funktionieren kann, wenn alle sich an Regeln halten. Und wo deliktisches Verhalten nicht noch belohnt wird. Und das muss uns alle interessieren.“
Der Suisse Secrets-Whistleblower schrieb: „Ich bin der festen Überzeugung, dass sich ein so reiches Land ein Gewissen leisten können sollte.“ (FM)