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Durchbruch für die alten Solidargemeinschaften zur Krankheitsabsicherung
Am 8. Juni 2021 trat das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) in Kraft, das am 6. Mai 2021 vom Bundestag beschlossen und am 28. Mai 2021 vom Bundesrat gebilligt wurde.
Der Paragraf 176 des DVPMG stellt alle vor dem 21. Januar 2021 bestehenden Solidargemeinschaften einer Versicherung in einer gesetzlichen (GKV) oder privaten Krankenversicherung (PKV) „als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall“ gleich. Sie sind somit als dritter Weg in der Krankenabsicherung gesetzlich anerkannt.
Problemlos können nun Beiträge an die Solidargemeinschaft beim Finanzamt als Vorsorgeaufwendungen oder beim Arbeitgeber zur hälftigen Übernahme geltend gemacht werden. Auch ein Wechsel einer gesetzlichen Pflichtversicherung in eine bestehende Solidargemeinschaft ist nun problemlos möglich. Die BASSG hat sich für diese gesetzliche Klärung immer wieder eingesetzt, da die Rechtsunsicherheit auch zu vielen gerichtlichen Auseinandersetzungen führte.
„Die Kriterien, die der Bundestag nun gesetzlich vorschreibt, sind vernünftig und werden von den Mitgliedseinrichtungen der BASSG bereits erfüllt.Die rechtliche Anerkennung per Gesetz ist ein Durchbruch“ begrüßt der Vorsitzende des Dachverbands von Solidargemeinschaften BASSG (Bundesarbeitsgemeinschaft von Selbsthilfeeinrichtungen – Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen e.V.) aus Bremen, Urban Vogel (55), das Gesetz.
Damit wird eine rechtliche Unsicherheit beseitigt, die mit der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht 2007 eingetreten war. Der Gesetzgeber hatte es damals versäumt, klare Kriterien festzulegen, welche Rechte und Pflichten eine Solidargemeinschaft erfüllen muss. In der Folge verweigerten Krankenkassen ihren Mitgliedern den Wechsel etwa zur Solidargemeinschaft Samarita. Finanzämter erkannten die Absetzbarkeit der Mitgliedsbeiträge an die Solidargemeinschaften nicht an.
Der dritte Weg Solidargemeinschaft bietet etliche Vorteile gegenüber GKV und PKV
Ein bekanntes Dilemma bei der Gesetzlichen Krankenkasse ist die fehlende freie Arzt- oder Krankenhauswahl oder der auf das ökonomisch notwendigste beschränkte Leistungskatalog.
Ein bekanntes Dilemma bei der Privaten Krankenkasse ist die Aufnahme nur nach einer Gesundheitsprüfung und die Berechnung des Beitrages nach Alter oder die hohe Beitragsbemessungsgrenze für Angestellte. Oder auch der hohe Beitrag im Alter, auch wenn mit Renteneintritt das Einkommen drastisch sinkt. Oder auch der Ausschluss von Suchtbehandlungen wie Alkohol-Entzugskliniken.
All diese Dilemmas kennen die Solidargemeinschaften nicht
Vorerkrankungen oder Alter interessieren nicht, für die Beiträge zählt stets das jeweilige Einkommen und die Anzahl der mitzuversichernden Kinder. Es gibt keinen Katalog an versicherten Leistungen und somit auch keinen Leistungsausschluss. Man tritt gegenüber dem Arzt als Privatpatient (Selbstzahler) auf und bekommt die verauslagte Leistung von der Solidargemeinschaft erstattet.
Muss man in ein Krankenhaus, hilft die Solidargemeinschaft bei der Suche und rechnet mit dem Haus direkt ab.
Für den Fall, dass die Kosten pro Mitglied im Krankheitsfall 5.000 Euro übersteigen sollten, hat zum Beispiel der Bremer Dachverband Bundesarbeitsgemeinschaft (BASSG) für seine vier angeschlossenen Solidargemeinschaften Samarita Solidargemeinschaft e.V. in Bremen, die SpUka (Spargemeinschaft und Unterstützungskasse der Polizei Münster von 1974 e. V.) in Münster, der SUV (Spar- und Unterstützungsvereinvon Polizeibeamten im Oldenburger Münsterland e.V.) in Vechta und die Uka (Unterstützungskasse der Bediensteten der JVA Bielefeld e.V.) in Bielefeld mit insgesamt 7.000 Mitgliedern eine Rückversicherung bei einer Privaten Krankenversicherung abgeschlossen.
Beiträge sind nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt
Die zu zahlenden Beiträge werden dabei nach Einkommen und Kinderzahl gestaffelt – keine Rolle spielen hingegen Alter und Gesundheitszustand der Versicherten. Bis zu einem monatlichen Gesamteinkommen von 1.000 Euro zahlt ein Erwachsener einen monatlichen Beitrag von 80 Euro, ein Erwachsener bis zu 3 Kindern 150 Euro oder eine Familie mit mehr als 2 Kindern 235 Euro. Bei einem Einkommen zwischen 2.500 und 3.000 Euro zahlt ein Erwachsener ohne Kinder bei der Bremer Solidargemeinschaft „Samarita“ beispielsweise 440 Euro an Beiträgen, mit bis zu 3 Kindern werden 500 Euro im Monat aufgerufen. Höchstgrenze bei der Einkommensberechnung sind 8.000 Euro: Ab diesem Monatseinkommen werden für einen einzelnen Erwachsenen 500 Euro fällig. Eine Familie, bestehend aus zwei Erwachsenen und mehr als zwei Kindern, zahlt 1.100 Euro – der maximale Beitragssatz.
Solidargemeinschaften – Alle 5 Jahre neues Testat
Die Solidargemeinschaften müssen alle fünf Jahre dem Bundesgesundheitsministerium per versicherungsmathematischem Gutachten nachweisen, dass sie in der Lage sind, mindestens im Umfang und in Höhe einer Gesetzlichen Krankasse zu leisten. Die 113 gesetzlichen Kassen verzeichnen 71 Millionen und die 44 privaten neun Millionen Versicherte in Deutschland. Solidarvereine mit zirca 25.000 Mitgliedern sind in Deutschland weitgehend unbekannt, und das, obwohl sie Therapiefreiheit versprechen und unter Umständen sogar weniger kosten als die Platzhirsche am Markt.
Die Grundidee
Die Solidargemeinschaften organisieren sich und die Ausgaben der Gesundheitsversorgung selbst. Regionalgruppen wie in München garantieren Überschaubarkeit. Tobias Küpper ist Solidarversicherter aus München. „Während man als Versicherter bei den herkömmlichen Kassen lediglich einen Kostenfaktor darstellt, ist man hier Mensch“, sagt er. „Man hört sich zu, ist füreinander da und bespricht politische und organisatorische Veränderungen des Vereins.“
Mit einem Teil seiner Beiträge zahlt er die homöopathische Behandlung seiner Neurodermitis, die von gesetzlichen Kassen nicht übernommen wird. Der andere Teil der Beiträge geht in einen Solidarfonds, der größere Kosten bei schwerwiegenden Erkrankungen von Vereinsmitgliedern abdecken soll.
Neu ist der Ansatz nicht, vor knapp 100 Jahren gründeten zum Beispiel Pfarrer und Polizisten berufsständische Unterstützungskassen, die es bis heute gibt. Ende der 90er-Jahre entstanden dann offene Vereine wie Samarita aus Bremen, der SOLIDAGO Bundesverband Solidargemeinschaft für Gesundheit e.V. aus Solingen in NRW oder ARTABANA Deutschland Solidargemeinschaft e.V. aus Osterapeln in Niedersachsen. (FM)